Start-ups in den USA: Sie hoffen auf Reichtum (2024)

Das kommt unerwartet: Die Vereinigten Staaten von Amerika erleben eine neue Gründerzeit – mitten in der Pandemie. Mehr als doppelt so viele Amerikaner wie noch 2019 haben in den vergangenen Monaten ein Unternehmen gegründet. Schon im Jahr 2020 waren fast ein Viertel mehr neue Firmen registriert worden als 2019. So viele Start-ups in einem Jahr – das gab es noch nie. Und in diesem Jahr wird der Rekord noch übertroffen. Die Zahl der Selbstständigen erreichte im Juli mit mehr als zehn Millionen den höchsten Stand, seit diese Statistik erhoben wird.

Allerdings entsteht die Gründerzeit auch aus der Not heraus. Nach wie vor sind fast acht Millionen Amerikaner ohne Job. Die Selbstständigkeit ist daher für viele eine Möglichkeit, über die Runden zu kommen. Doch das ist nicht alles. Viele Amerikaner sehen in den Umwälzungen auch die Chance auf etwas Neues. Im August kündigten mehr als vier Millionen Menschen ihren Job. Schon im Juli waren es ebenso viele gewesen, genauso wie im Juni, Mai und April. Noch nie haben so viele Arbeitnehmer ihre Stelle freiwillig aufgegeben. Und viele von ihnen arbeiten künftig auf eigenes Risiko und eigene Rechnung.

Auf einmal ist Platz für Neues da

Das ist auch eine Folge der Lockdowns. Weil viele Unternehmen pleitegingen, ist auf einmal Platz für Neues. Vor der Pandemie schlossen jährlich rund 600.000 Firmen in den USA. Im vergangenen Jahr waren es bis zu 200.000 mehr, so eine aktuelle Studie der US-Notenbank. In der Folge wurde unter anderem im Einzelhandel und der Gastronomie viel gegründet – Branchen, die besonders hart von den Lockdowns getroffen wurden.

Dazu kam eine neue Nachfrage abseits der Zentren. Nach wie vor arbeiten Millionen Beschäftigte im Homeoffice, und so gibt es plötzlich Bedarf an Cafés oder Imbissen in den Wohnvierteln und Vorstädten. In New York erholte sich Brooklyn etwa weit schneller als das Geschäftszentrum Manhattan.

Doch die Intensität dieser Entwicklung überrascht die Experten. Amerika gilt zwar weltweit als das Land der Entrepreneure. Doch in den Jahren vor der Pandemie hatte die Zahl der Start-ups abgenommen. Eine "verlorene Dekade" für das amerikanische Unternehmertum, nennt das John Dearie vom Center for American Entrepreneurship, einem Verband, der die Interessen kleiner Firmen in Washington vertritt. Es schien, als habe die Finanzkrise 2008 den Amerikanern die Lust am Risiko vergällt. Es gab nicht nur rückläufige Gründerzahlen. Start-ups schufen auch weniger Arbeitsplätze. Als Ursache nennt Dearie unter anderem die Bürokratie, mit der sich Unternehmer herumschlagen müssten, Steuervorschriften, die Großkonzerne bevorzugten, und fehlenden Zugang zu Kapital vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen. Dazu kommt die Demografie: Auch in den USA sinkt die Geburtenrate. Und es kommen weniger Einwanderer ins Land. So gibt es weniger potenzielle Kunden.

Dass diese Hürden ausgerechnet jetzt keine Rolle mehr spielen, liegt auch an der finanziell guten Lage der Amerikaner. Während der Pandemie hatten viele von ihnen dank billionenschwerer Covid-Hilfspakete und staatlicher Leistungen mehr Geld als zuvor. Die Armutsrate im Land halbierte sich. Und viele Bürger nutzten den unverhofften Geldsegen nicht, um sich auszuruhen, sondern um endlich ihren lang gehegten Traum der Selbstständigkeit wahr zu machen.

Viele Menschen hatten Zeit zum Nachdenken und Experimentieren

Auch die sich während der Pandemie beschleunigende Digitalisierung half den Entrepreneuren. So gab es im Online-Handel die meisten Gründungen. Online-Giganten wie Amazon, Shopify oder Etsy bieten Rundumpakete für Händler, die über ihre Plattformen verkaufen. Bei Etsy, wo während der Pandemie unter anderem Donald-Trump-Weihnachtskugeln und Sweatshirts für Hunde zu den Bestsellern gehörten, stieg im vergangenen Jahr die Zahl der Verkäufer von 2,7 Millionen auf 4,3 Millionen. Auch der Konkurrent Shopify konnte die Zahl seiner Online-Läden nahezu verdoppeln.

Weniger klar zu messen ist ein weiterer Faktor, den Experten benennen: Zeit zum Nachdenken und Experimentieren. Weitgehend unbeobachtet im Homeoffice oder ohne Job, begannen viele Amerikaner neue Hobbys oder Nebentätigkeiten. Manche waren dabei so erfolgreich, dass sie beschlossen, diese zu ihrer Haupteinnahmequelle zu machen.

Amerikas Bewunderung für Gründer gebe Einsteigern Rückenwind, sagt Bettina Hein, eine gebürtige Berlinerin, die Jurorin der Schweizer Ausgabe der TV-Show Höhle der Löwen ist, wo Gründer vor laufender Kamera um Kapital werben. Hein hat auf beiden Seiten des Atlantiks Technologieunternehmen gegründet. "Bei uns kommen oft gleich die Bedenkenträger", sagt sie in Bezug auf Deutschland. Geldgeber in den USA seien eher bereit, Außenseitern eine Chance zu geben. "Immer in der Hoffnung, das nächste Google zu entdecken." Eine Statistik der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) scheint ihr recht zu geben: Während die USA eine Gründungswelle erlebten, blieb sie in Deutschland aus. "30 Prozent der neuen Unternehmen schließen im zweiten Jahr"

Wie stabil die Pandemie-Start-up-Welt ist, darüber sind die Experten uneins. John Dearie vom Unternehmerverband ist eher verhalten. "30 Prozent der neuen Unternehmen schließen im zweiten Jahr, und nach fünf Jahren sind 50 Prozent der Neugründungen gescheitert", zitiert er Statistiken. Andere Experten sind optimistischer. In einer aktuellen Studie kommt John Haltiwanger, der sich als Wirtschaftswissenschaftler auf Unternehmensgründungen spezialisiert hat, zu dem Schluss, dass sich hinter dem jüngsten Rekordanstieg an neuen Unternehmen mehr verbirgt. Für Haltiwanger ist er ein Zeichen des radikalen digitalen Umbaus, den die Wirtschaft erlebt.

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Author: Tish Haag

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